„Er ist wieder da“ von Timur Vermes
Erwachen
Ohne die geringste Ahnung, wie es möglich ist, erwacht Adolf Hitler im Berlin des Jahres 2011. Nur hat sich die Landeshauptstadt seit 1945 sehr verändert: kein Bunker, keine Alliierten, kein Krieg. Vollkommen mittel- und obdachlos wird er zunächst von einem hilfsbereiten Zeitungshändler in dessen Kiosk aufgenommen, der ihn ihm nicht den Führer und Gröfaz, sondern einen besonders talentierten Schauspieler sieht.
Am nächsten Tag stellt er ihm prompt die Herren Sensenbrink und Sawatzki vor, die für die Agentur Flashlight arbeiten und ihm einen Job als Comedian verschaffen, nachdem sie seine Schilderung des Polenfeldzugs als einstudierte Nummer verstanden hatten. Dazu bringen sie Hitler in einem Hotel unter und besorgen ihm seine eigene Sekretärin, die davon überzeugt ist, er würde Method Acting praktizieren und sich so seine für sie seltsame Ausdrucksweise und sein Verhalten erklärt.
Erste Erfolge im Fernsehen
Kurz darauf hält er seine erste Rede, „getarnt“ als Gastauftritt in der Sendung Krass, Alter von Ali Wizgür, und wird nach einem großen Erfolg seines Videos auf YouTube fest in die Sendung integriert. Nun äußern sich auch schon Politiker wie Markus Söder zu dem immer bekannter werdenden Hitler -überwiegend negativ. Auch die Zeitung Bild entwickelt größeres Interesse an ihm und startet einen Propagandakrieg, den
Hitler mithilfe von Sawatzki schon nach kurzer Zeit klar für sich entscheiden kann. Nach weiteren Auftritten im Fernsehen und zunehmend positiver werdenden Kritiken wird dem charismatischen Redner der Grimme-Preis verliehen.
Vermarktung um jeden Preis
Schon bald darauf erhält Hitler seine eigene Show, die sofort ein voller Erfolg wird. Am Ende des Romans erhält er Anrufe zahlreicher Parteien, die ihn als Mitglied anwerben wollen. Er lehnt jedoch alle ab, beschließt jedoch, selbst ein (weiteres) Buch zu schreiben -zusammen mit Sawatzki wirbt er mit dem Slogan: „Es war nicht alles schlecht".
Mehr als ein Gedankenspiel
Der Roman besteht zum Großteil aus Monologen und Gedankengängen Hitlers, in denen er meist versucht, einen für ihn unverständlichen Sachverhalt oder die Reaktion eines anderen in sein eigenes ideologisches Weltbild einzuordnen. Manche halten sie vielleicht für ausschweifend oder langatmig, doch sie sind es, die das Buch lesenswert machen. Sie beinhalten einerseits immer ein gewisses Maß an Komik, verursachen jedoch auch nicht selten ein beklemmendes Gefühl, wenn man bedenkt, dass vor gar nicht allzu langer Zeit wirklich so gedacht wurde.
Auf dem rechten Auge blind?
So behandelt Vermes ein Thema, das schon in Büchern wie die "Die Welle" von Morton Rhue zentral war: die Anfälligkeit für nationalsozialistisches Gedankengut, die auch nach siebzig Jahren immer noch besteht - und die wohl noch einmal siebzig Jahre bleiben wird. Der Roman lädt vor allem zum Mitdenken ein, gibt aber auch indirekt Anstoß für weiterführende Gedankengänge: Wie kam Hitler an die Macht? Warum hat ihn niemand aufgehalten? Weshalb haben ihn viele bis zum Ende unterstützt? - Fragen, die vermutlich in keinem Buch der Welt zufriedenstellend beantwortet werden können.
Sympathischer Diktator?
Wichtig ist, dass Hitler nicht als verrückt oder unmenschlich dargestellt wird, sondern vielmehr als Sympathieträger auftritt; er ist als Protagonist die Figur, mit der man leidet, mit der man sich freut und in die man sich hineinversetzen kann. Dadurch verliert man an manchen Stellen aus den Augen, was für Unheil er zu seiner Zeit über die Welt gebracht hat und lässt sich -wie fast alle anderen Figuren Vermes'- stellenweise von ihm mitreißen.
Somit macht sich der Autor weniger über Hitler selbst, als vielmehr über die heutigen Deutschen lustig. Und das völlig zu Recht. Trotz seines offen-kundigen Auftretens als Führer erkennen sie die Wahrheit (oder auch die Gefahr) nicht und erlauben ihm erneut, sich an die Spitze der Gesellschaft zu kämpfen.
Alles in allem ist das Buch bis jetzt einzigartig und trotz kritischer Stimmen nicht respektlos oder unverschämt, sondern als "Augenöffner" sogar noch wirkungsvoller als "Die Welle", da der Leser durch Hitlers Gedanken selbst in das Buch eingebunden wird.
Film zum Buch
Der kürzlich erschienene Kinofilm geht sogar noch weiter: Er erzählt die Geschichte des Buches leicht verändert und besteht zur Hälfte aus Szenen, die nicht von Schauspielern dargestellt, sondern mit unbeteiligten Passanten gedreht wurden. Diese werden mit Oliver Masucci (natürlich in seiner Rolle als Adolf Hitler) konfrontiert. Der Großteil der Reaktionen der Deutschen bestätigt tatsächlich die im Buch hypothetisch gebliebene Befürchtung, dass auch heute zumindest eine Art "Machtergreifung" immer noch möglich wäre. Der Film glänzt aber auch durch seine hochkarätige Besetzung; Christoph Maria Herbst (der schon das Hörbuch eingesprochen hat) und Michael Kessler haben beide schon Hitler parodiert, doch die überwiegend ernsthafte Darstellung von Masucci kann sogar der von Bruno Ganz aus "Der Untergang" das Wasser reichen. Somit ist abschließend zu sagen: Sowohl das Buch als auch der Film sind, ganz dem Thema entsprechend, hart wie Kruppstahl!
Julian Schneider, Q11